Wissenschaftler von Goethe-Universität und Universität Bristol (Großbritannien) finden Bienenwachsreste in prähistorischer Keramik der westafrikanischen Nok-Kultur
Bevor das Zuckerrohr und die Zuckerrübe die Welt eroberten, war Honig weltweit das wichtigste Naturprodukt zum Süßen. Den ältesten direkten Nachweis für die Nutzung von Honig in Afrika haben nun Archäologen der Goethe-Universität in Kooperation mit Chemikern der Universität Bristol erbracht. Sie nutzten dafür die chemischen Nahrungsmittelrückstände in Keramikscherben, die sie in Nigeria gefunden hatten. (Nature Communications, DOI 10.1038/s41467-021-22425-4)
FRANKFURT. Honig
ist das älteste Süßungsmittel der Menschheit – und war tausende von Jahren wohl
auch das einzige. Indirekte Hinweise für die Bedeutung der Bienen und der von
ihnen erzeugte Produkte liefern zum Beispiel prähistorische Felsbilder von
verschiedenen Kontinenten, die vor 8000 bis 40.000 Jahren entstanden sind.
Altägyptischen Reliefs geben Hinweise auf die Bienenzucht bereits 2600 Jahre
vor Christus. Doch für das subsaharische Afrika fehlte bisher ein direkter
archäologischer Nachweis. Mit der Untersuchung von chemischen
Nahrungsmittelrückständen in Keramikscherben hat sich das Bild grundlegend
geändert. Archäologen der Goethe-Universität konnten jetzt in Kooperation mit
Chemikern der Universität Bristol Bienenwachsreste in 3500 Jahre alten
Keramikscherben der Nok-Kultur identifizieren.
Die Nok-Kultur in Zentral-Nigeria datiert zwischen 1500 vor
Christus und der Zeitenwende und ist vor allem durch ihre bis zu lebensgroßen
Terrakotta-Skulpturen bekannt. Sie stellen die älteste figurative Kunst Afrikas
dar. Bis vor wenigen Jahren war vollständig unbekannt, in welchem
gesellschaftlichen Kontext diese Skulpturen entstanden sind. In einem von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt haben Wissenschaftler der
Goethe-Universität über zwölf Jahre lang die Nok-Kultur in all ihren
archäologischen Facetten untersucht. Neben Siedlungsweise, Chronologie und
Bedeutung der Terrakotten waren Wirtschaft und Ernährung ein Schwerpunkt der
Forschung.
Hatten die Menschen der Nok-Kultur Haustiere oder waren sie Jäger?
Üblicherweise benutzten Archäologen zur Klärung dieser Frage Tierknochen aus
den Ausgrabungen. Was aber, wenn der Boden so sauer ist, dass Knochen sich
nicht erhalten, so wie es im Nok-Gebiet der Fall ist?
Hier eröffnet die Untersuchung von molekularen
Nahrungsmittel-Rückständen in Keramik neue Möglichkeiten. Denn bei der
Verarbeitung von Pflanzen- und Tierprodukten in Tontöpfen werden stabile
chemische Verbindungen freigesetzt, vor allem Fettsäuren (Lipide). Diese können
in den Poren der Gefäßwand über Tausende von Jahren erhalten bleiben und sind
mit Hilfe der Gaschromatographie nachweisbar.
Zur großen Überraschung der Forscher fanden sich außer den Resten
von Wildtieren zahlreiche andere Bestandteile, die das bisher bekannte Spektrum
der genutzten Tiere und Pflanzen erheblich erweitern. Vor allem an ein Tier
hatte sie nicht gedacht: die Honigbiene. Ein Drittel der untersuchten Scherben
enthielt hochmolekulare Lipide, die typisch für Bienenwachs sind.
Welche Bienenprodukte die Menschen der Nok-Kultur nutzten, lässt
sich aus den Lipiden nicht rekonstruieren. Am wahrscheinlichsten ist es, dass
sie den Honig in den Töpfen durch Erhitzen von den wachshaltigen Waben
trennten. Aber auch die Verarbeitung von Honig zusammen mit anderen tierischen
oder pflanzlichen Rohstoffen oder die Herstellung von Met sind denkbar. Das
Wachs selber könnte für technische oder medizinische Zwecke gedient haben. Eine
weitere Möglichkeit ist die Verwendung von Tontöpfen als Bienenstöcke, so wie
es in heutigen traditionellen Gesellschaften Afrikas noch praktiziert wird.
„Wir haben diese Studie mit den Kollegen aus Bristol begonnen,
weil wir wissen wollten, ob die Nok-Leute Haustiere hatten,“ erläutert
Professor Peter Breunig von der Goethe-Universität, der das archäologische
Nok-Projekt leitet. „Dass Honig auf ihrem täglichen Speisezettel stand, war für
uns völlig unerwartet und ist in der Vorgeschichte Afrikas bisher einzigartig.“
Dr. Julie Dunne von der University of Bristol, Erstautorin der
Studie, sagt: „Dies ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie biomolekulare
Information aus prähistorischen Tonscherben in Kombination mit ethnographischen
Daten Einsichten gewährt in die Nutzung von Honig vor 3500 Jahren.“
Professor Richard Evershed, Leiter des Instituts für Organische
Chemie an der Universität Bristol und Co-Autor der Studie, weist darauf hin,
dass die besondere Beziehung zwischen Mensch und Honigbiene schon in der Antike
bekannt war. „Aber die Entdeckung von Bienenwachsresten in der Nok-Keramik
ermöglicht einen ganz besonderen Einblick in diese Beziehung, weil dort alle
andere Quellen fehlen.“
Professor Katharina Neumann, an der Goethe-Universität zuständig
für die Archäobotanik im Nok-Projekt, sagt: „Pflanzen- und Tierreste aus
archäologischen Ausgrabungen spiegeln nur einen kleinen Ausschnitt von dem
wieder, was die Menschen in der Vorgeschichte gegessen haben. Die chemischen
Rückstände machen bisher unsichtbare Komponenten der prähistorischen Ernährung
sichtbar.“ Der erste direkte Nachweis von Bienenwachs eröffne faszinierende
Perspektiven für die Archäologie Afrikas. Neumann: „Wir nehmen an, dass die
Nutzung von Honig in Afrika eine sehr lange Tradition hat. Die älteste Keramik
des Kontinents ist etwa 11.000 Jahre alt. Enthält sie vielleicht auch
Bienenwachsreste? In Archiven weltweit liegen tausende von Keramikscherben aus
archäologischen Grabungen, die nur darauf warten, ihre chemischen Geheimnisse
durch die Gaschromatographie zu enthüllen und dadurch ein konkreteres Bild vom
täglichen Leben und der Ernährung der prähistorischen Menschen zu zeichnen.“
Publikation: Julie
Dunne, Alexa Höhn, Gabriele Franke, Katharina Neumann, Peter Breunig, Toby
Gillard, Caitlin Walton-Doyle1, Richard P. Evershed Honey-collecting in
prehistoric West Africa from 3500 years ago. Nature Communications https://doi.org/10.1038/s41467-021-22425-4
Bilder zum
Download:
http://www.uni-frankfurt.de/100070440
In
solchen 3500 Jahre alten Tongefäßen der Nok-Kultur konnten Spuren von
Bienenwachs nachgewiesen werden (Foto: Peter Breunig, Goethe-Universität
Frankfurt)
http://www.uni-frankfurt.de/100070081
Dr.
Gabriele Franke, Archäologin der Goethe-Universität, bei der Dokumentation
ausgegrabener Tongefäßen in der Nok-Forschungsstation in Janjala, Nigeria, im
August 2016. In solchen Tongefäßen konnten Spuren von Bienenwachs nachgewiesen
werden (Foto Peter Breunig, Goethe-Universität Frankfurt
http://www.uni-frankfurt.de/100070175
Auch
heute noch beliebt: Grabungsmitarbeiter essen frisch gesammelten wilden Honig
(Foto: Peter Breunig, Goethe-Universität Frankfurt)
http://www.uni-frankfurt.de/100070146
Bekannt
ist die Nok-Kultur im heutigen Nigeria für ihre Terrakottafiguren (Foto: Peter
Breunig, Goethe-Universität Frankfurt)
Weitere Informationen
Prof. Dr. Katharina Neumann
Institut für Archäologische Wissenschaften
Goethe-Universität Frankfurt
Tel.: 069 798-32292
k.neumann@em.uni-frankfurt.de
http://araf.studiumdigitale.uni-frankfurt.de
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de