Unternehmer Stefan Quandt stiftet neue Professur für Inklusionsforschung an der Goethe-Universität
FRANKFURT. Die Goethe-Universität besetzt das Gebiet Inklusionsforschung mit einer ganz diesem Thema gewidmeten Spitzenprofessur. Der Fachbereich Erziehungswissenschaften konnte hierfür die international ausgewiesene Inklusionsexpertin Prof. Dr. Vera Moser von der Humboldt-Universität zu Berlin gewinnen. Gefördert wird die neugeschaffene „Kathrin und Stefan Quandt-Stiftungsprofessur für Inklusionsforschung“ durch den Bad Homburger Unternehmer Stefan Quandt.
Spätestens mit dem Beitritt Deutschlands zur UN-Behindertenrechtskonvention
im Jahr 2009 war klar: In Deutschlands Schulen muss sich einiges ändern, damit
mehr Kinder mit Behinderungen in Regelschulen unterrichtet werden können. Doch
schnell zeigte sich, dass die politischen Vorgaben nicht so einfach zu erfüllen
sind. Es fehlte vor allem bei der Ausbildung der Lehrkräfte für eine „Schule
der Vielfalt“ und an wissenschaftlicher Begleitung des Umbauprozesses.
Chancen- und Bildungsgerechtigkeit stehen im Fokus der Forschung
von Prof. Dr. Vera Moser und ihrem Team vom neuen Arbeitsbereich
Inklusionsforschung, der dem Institut für Sonderpädagogik am Fachbereich
Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität zugeordnet ist. Ausgehend von
ihrer sonderpädagogischen Grundbildung sucht Moser nach interdisziplinären
Zugängen für eine möglichst barrierefreie Bildung aller Kinder.
Moser, Jahrgang 1962, stammt aus der Düsseldorfer Region und hat
schon als Schülerin beschlossen, Sonderpädagogik zu studieren. Als Studentin an
der Goethe-Universität konnte sie sich mit ihrer Professorin Helga Deppe in
Italien ein Bild machen von der Abschaffung der Förderschulen. „Helga Deppe mit
ihrer soziologischen Betrachtung der Pädagogik hat mich sehr geprägt: Denn
nicht der individuelle gute Wille, sondern ein gesellschaftlicher sind für das
Gelingen von Integration und Inklusion entscheidend“, so Moser.
Zum Hauptstudium wechselte Moser nach Marburg, nach
Studienabschluss, Promotion und Referendariat kehrte sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin und Assistentin an die Goethe-Uni zurück. 2002 wurde sie hier mit
einer Arbeit über Sonderpädagogik als Disziplin habilitiert, einer kritischen
Reflexion des eigenen Faches. Der erste Ruf führte sie 2003 als Professorin für
Allgemeine Heil- und Sonderpädagogik an die Justus-Liebig-Universität in Gießen.
2010 trat sie eine Stelle als Professorin für Pädagogik bei Beeinträchtigungen
des Lernens und Allgemeine Rehabilitationspädagogik an der Humboldt-Universität
zu Berlin an. Zehn Jahre ist sie von Frankfurt nach Berlin gependelt, die
Familie blieb am Main.
In Berlin hat Moser ein eigenes Zentrum und ein Graduiertenkolleg
zum Thema Inklusion gegründet, war Mitglied im Landesbeirat für Inklusion. „Die
Voraussetzungen dort waren bestens“, sagt sie. Dennoch sei ihr die Entscheidung
für Frankfurt auch leichtgefallen – nicht nur der Familie wegen: „Die
Integrationsforschung, die von Helga Deppe und Helmut Reiser begründet wurde,
hat hier eine lange Tradition, es gibt viel Expertise. Eine eigene
ausschließlich der Inklusionsforschung gewidmete neue Professur ist schon etwas
Besonderes.“
Die Initiative hierfür geht auf die Unternehmerfamilie Quandt
zurück, die den Arbeitsbereich und die Professur großzügig fördert. Der
Unternehmer Stefan Quandt und seine Frau Kathrin hatten im eigenen Umfeld
beobachtet, dass nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention beim
Thema Inklusion politischer Anspruch und schulische Wirklichkeit stark
auseinandergehen: „Die Schulen als Lernorte, an denen Inklusion gelebt und
verwirklicht werden soll, waren auf diese Riesenaufgabe nicht vorbereitet“, so
Stefan Quandt. Die Lehrkräfte seien überfordert gewesen, Schulleitungen fühlten
sich von der Politik alleingelassen. „Absolut zentral auf dem Weg zur inklusiven
Schule ist die Qualifizierung von Lehrkräften für die inklusive Schulpraxis“,
sagt Quandt. Deshalb habe er sich entschieden, eine entsprechende Professur
über voraussichtlich zehn Jahre mit insgesamt 3 Mio. Euro zu
unterstützen.
Hessens Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz zeigt sich
erfreut über die Schaffung der neuen Stiftungsprofessur: „Inklusion ist nicht
nur ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, der uns alle angeht, sondern vor
allem auch eine ständige Aufgabe für die Qualitätsentwicklung jeder einzelnen
Schule. Auch wenn diesbezüglich schon viel an unseren Schulen erreicht wurde,
bleibt noch einiges zu tun. Ich erhoffe mir deshalb wertvolle Impulse aus der
Forschung Professor Mosers.“ „Inklusion kann nur gelingen, wenn alle Lehrkräfte
das Rüstzeug für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit im inklusiven
Bildungssystem haben“, sagt Uni-Präsidentin Prof. Dr. Birgitta Wolff. „Dazu
werden wir als Goethe-Universität einen weiteren wichtigen Beitrag leisten,
indem wir – mit der Expertise von Frau Prof. Dr. Moser – die
Lehrkräfteausbildung an der Goethe-Universität für ein inklusives Schulsystem
auch konzeptionell verbessern. Am Arbeitsbereich Inklusionsforschung werden die
notwendigen Grundlagen hierfür erforscht.“
Im Fokus der Inklusionsforschung von Vera Moser steht die Chancen-
und Bildungsgerechtigkeit, wobei die Erziehungswissenschaftlerin Wert auf einen
interdisziplinären und multimethodischen Forschungszugang legt. Es soll um
Fragen der bildungspolitischen und administrativen Steuerung gehen, aber auch
um Fragen der Systementwicklung auf der Ebene von Schule und Unterricht. Dabei
hat Moser, die selbst aus der qualitativen, soziologisch ausgerichteten
Bildungsforschung kommt, keine Berührungsängste gegenüber der quantitativen,
empirischen Bildungsforschung – im Gegenteil: „Ich freue mich auf die
Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung und
Bildungsinformation (DIPF).“ In der Lehre sei es ihr wichtig, dass die
Inklusionspädagogik in alle Lehramtsstudiengänge und die Fachdidaktiken
hineinwirke – nur so könne die Qualität der Lehrerbildung nachhaltig an die
Erfordernisse der Inklusion angepasst werden. Moser will auch Licht in die
bisherige Inklusionspraxis bringen. Derzeit arbeitet sie u.a. an einem
Forschungsantrag zur Rolle der Inklusionshelfer: Wer wird hierfür eingesetzt?
Welche Qualifikationen werden verlangt? Welches Selbstverständnis und welche
Auftraggeber haben diese Personen?
„Der neue
Arbeitsbereich von Frau Moser wird uns einen riesigen Schritt voranbringen“,
freut sich Prof. Dr. Isabelle Diehm, Dekanin des Fachbereichs
Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität. „Wir brauchen eine
wissenschaftlich fundierte Grundlage für die weitere pädagogische
Konzeptentwicklung. Frankfurt hat hier seit den 1980ern Forschungsexpertise
aufgebaut. Die neue Professur ist nun wie eine Krönung dieses Prozesses“, so
Diehm.
Bilder zum Download finden Sie unter folgendem Link: http://www.uni-frankfurt.de/91579361
Bildtext: Vera Moser hat die neu an der Goethe-Universität eingerichtete
Professur für Inklusionsforschung inne. (Foto: Lecher)
Informationen: Prof. Dr. Vera Moser, Professorin für Erziehungswissenschaften
mit dem Schwerpunkt Inklusionsforschung, Institut für Sonderpädagogik,
Fachbereich Erziehungswissenschaften, Campus Westend, E-Mail: v.moser@em.uni-frankfurt.de,
Tel.: +49 +69 798-36394