An der Goethe-Universität Frankfurt gezüchtete Kristalle mit Seltenerd-Atomen zeigen überraschende, schnell einstellbare magnetische Eigenschaften.
Computerchips oder Speicherelemente sollen möglichst schnell und energiesparend funktionieren. Neuartige spintronische Bauelemente könnten hier mit hoher Geschwindigkeit und Effizienz punkten, da keine verlustbehafteten elektrischen Ströme fließen, sondern die Elektronen magnetisch aneinanderkoppeln – wie eine Reihe winziger magnetischer Nadeln, die sich gegenseitig fast reibungslos beeinflussen. Ein Wissenschaftsteam unter Beteiligung der Goethe-Universität Frankfurt und des Berliner Fritz-Haber-Instituts hat nun vielversprechende Eigenschaften bei Kristallen mit Seltenerd-Atomen gefunden, die auf dem langen Weg zur Anwendung als spintronische Bauelemente Hoffnung machen.
FRANKFURT.
Heutige Computer sind zwar schon sehr schnell, aber sie verbrauchen auch große
Mengen an Strom. Schon seit einigen Jahren macht eine neue Technologie von sich
reden, die zwar noch in den Startlöchern steht, aber eines Tages die
Computertechnik revolutionieren könnte – die Spintronik. Der Name ist ein
Kunstwort aus „Spin“ und „Elektronik“, denn bei diesen Komponenten fließen
keine Elektronen mehr durch die Computerchips, sondern nur noch der Spin der
Elektronen dient als Informationsträger. Ein Forschungsteam unter Beteiligung
der Goethe-Universität Frankfurt hat nun Materialien identifiziert, die
überraschend positive Eigenschaften für die Spintronik aufweisen. Die
Ergebnisse sind im Fachmagazin „Nature Materials“ publiziert.
„Man kann sich die Elektronenspins vorstellen wie winzige
magnetische Nadeln, die an den Atomen eines Kristallgitters festgemacht sind
und die miteinander kommunizieren“, sagt Cornelius Krellner, Professor für
Experimentalphysik an der Goethe-Universität Frankfurt. Wie diese Magnetnadeln
aufeinander reagieren, hängt entscheidend von den Eigenschaften des Materials
ab. Bisher hat man in der Spintronik vor allem ferromagnetische Materialien
untersucht, bei denen – ähnlich wie bei einem Eisenmagneten – die Magnetnadeln
bevorzugt in eine Richtung zeigen. In den letzten Jahren sind aber sogenannte
Antiferromagnete stärker in den Fokus gerückt, weil diese Materialien noch
schnellere und effizientere Schaltbarkeit ermöglichen sollen als andere
spintronische Materialien.
Bei Antiferromagneten orientieren sich die Magnetnadeln immer
abwechselnd. Schubst man eine atomare Magnetnadel in eine Richtung, dreht sich
die Nachbarnadel in die Gegenrichtung. Dies wiederum lässt den übernächsten
Nachbarn wieder in die Richtung der ersten Nadel wandern. „Da diese
Wechselwirkungen sehr schnell und fast ohne Reibungsverluste vonstattengehen,
bietet sich hier ein großes Potenzial für ganz neuartige elektronische
Komponenten“, erklärt Krellner.
Vor allem Kristalle mit Atomen aus der Reihe der seltenen Erden
gelten als interessante Kandidaten für die Spintronik, da diese vergleichsweise
schweren Atome starke magnetische Momente aufweisen – Chemiker nennen die
zugehörigen Zustände der Elektronen 4f-Orbitale. Zu den
Seltenerd-Metallen – die zum Teil gar nicht so selten und teuer sind – zählen
Elemente wie Praseodym oder Neodym, die auch in der Magnettechnik zum Einsatz
kommen. Insgesamt sieben Materialien mit unterschiedlichen Seltenerd-Atomen,
von Praseodym bis Holmium, hat das Forschungsteam nun untersucht.
Das Problem bei der Entwicklung spintronischer Materialien liegt
darin, dass man perfekt maßgeschneiderte Kristalle für solche Komponenten
braucht, da sich kleinste Unstimmigkeiten sofort negativ auf die magnetische
Gesamtordnung im Material auswirken. Hier kam die Frankfurter Expertise zum
Einsatz. „Die seltenen Erden schmelzen bei rund 1000 Grad Celsius, das für den
Kristall zusätzlich benötigte Rhodium aber erst bei rund 2000 Grad Celsius“, so
Krellner. „Deshalb funktionieren herkömmliche Kristallisationsverfahren hier
nicht.“
Stattdessen nutzten die Wissenschaftler heißes Indium als
Lösungsmittel. Bei rund 1500 Grad Celsius lösen sich darin sowohl die seltenen
Erden als auch das zusätzlich benötigte Rhodium und Silizium. Der Graphittiegel
blieb dann rund eine Woche lang bei dieser Temperatur und wurde behutsam
abgekühlt. Dadurch bildeten sich die gewünschten Kristalle in Form dünner
Plättchen von zwei bis drei Millimetern Kantenlänge. Diese untersuchte das Team
anschließend mit Hilfe von Röntgenstrahlung am Berliner Synchrotron BESSY II
sowie an der Swiss Light Source des Schweizer Paul Scherrer Instituts.
„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass in den von uns gezüchteten
Kristallen die Seltenerd-Atome sehr schnell miteinander magnetisch reagieren
und dass sich die Stärke dieser Reaktion durch Wahl der Atome gezielt
einstellen lässt“, sagt Krellner. Das eröffnet den Weg zu weiteren
Optimierungen – schließlich ist die Spintronik noch reine Grundlagenforschung
und Jahre von kommerziellen Komponenten entfernt.
Auf dem Weg zur Marktreife sind allerdings noch etliche Probleme
zu lösen. So liefern die in gleißender Hitze erzeugten Kristalle nur bei
Temperaturen von unter minus 170 Grad Celsius überzeugende magnetische
Leistungen. „Wir vermuten, dass sich die Betriebstemperaturen durch Hinzufügen
von Eisenatomen oder ähnlichen Elementen deutlich nach oben verschieben lässt“,
so Krellner. „Aber es bleibt zu sehen, ob dann auch die magnetischen
Eigenschaften noch genauso positiv sind.“ Dank der neuen Ergebnisse haben die
Forscher aber nun eine bessere Vorstellung davon, an welchen Stellschrauben
sich zu drehen lohnt.
Publikation: Y. W. Windsor, S.-E.
Lee, D. Zahn, V. Borisov, D. Thonig, K. Kliemt, A. Ernst, C.
Schüßler-Langeheine, N. Pontius, U. Staub, C. Krellner, D. V. Vyalikh, O.
Eriksson, L. Rettig: Exchange scaling of ultrafast angular momentum transfer
in 4f antiferromagnets. Nature Materials (2022)
https://www.nature.com/articles/s41563-022-01206-4
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Cornelius Krellner
Kristall- und Materialienlabor
Physikalisches Institut
Tel: +49 (0)69 798-47295
krellner@physik.uni-frankfurt.de