Verbund von 11 Radioteleskopen rund um die Welt erforscht das Herz einer 55-Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie
Wissenschaftler:innen der Event Horizon Telescope
(EHT)-Kollaboration – unter Ihnen Forschende der Goethe-Universität Frankfurt
um den Astrophysiker Luciano Rezzolla – haben 2019 das erste Bild eines
schwarzen Lochs erstellt. Heute präsentieren die Forschenden einen neuen Blick
auf das gewaltige Objekt im Zentrum der Galaxie Messier 87 (M87): sein Aussehen
in polarisiertem Licht. Es ist das erste Mal, dass Astronomen die Polarisation,
eine Signatur von Magnetfeldern, so nah am Rande eines schwarzen Lochs messen
konnten. Die Beobachtungen sind der Schlüssel zur Erklärung, wie die 55
Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie M87 in der Lage ist, energetische Jets
von ihrem Kern auszustoßen – Jets mit einer Länge von rund einer Million
Lichtjahre.
FRANKFURT.
Luciano Rezzolla, Professor für Theoretische Astrophysik an der
Goethe-Universität Frankfurt, erklärt: „Welche Kräfte relativistische Jets in Galaxien
antreiben ist eine Frage, die seit langem in der Astrophysik diskutiert wird.
Die Jets in M87 sind enorm und würden 10 Prozent unserer Galaxie bedecken.
Durch die anspruchsvollen Beobachtungen des Event Horizon Teleskops, kombiniert
mit den theoretischen Modellrechnungen, die wir hier in Frankfurt gemacht
haben, erhalten wir wesentliche Informationen über einen vergleichsweise
kleinen Bereich: Erstmals sehen wir, wie das Magnetfeld sehr nahe um das
schwarze Loch herum aussieht.“
„Wir sehen jetzt das nächste entscheidende Puzzleteil für das
Verständnis, wie sich Magnetfelder um schwarze Löcher herum verhalten und wie
die Aktivität in diesen sehr kompakten Regionen des Weltraums starke Jets
antreiben kann, die sich weit über die Galaxie hinaus erstrecken“, sagt Monika
Moscibrodzka, Koordinatorin der EHT Polarimetrie-Arbeitsgruppe und
Assistenzprofessorin an der Radboud Universität in den Niederlanden.
Am 10. April 2019 veröffentlichten die Wissenschaftler das
allererste Bild eines schwarzen Lochs, das eine helle ringförmige Struktur mit
einer dunklen zentralen Region – dem Schatten des schwarzen Lochs – zeigt.
Seitdem hat sich die EHT-Kollaboration eingehender mit den 2017 gesammelten
Daten vom supermassereichen Objekt im Herzen der Galaxie M87 beschäftigt. Sie
haben entdeckt, dass ein signifikanter Anteil des Lichts um das schwarze Loch
von M87 polarisiert ist.
„Diese Arbeit ist ein wichtiger Meilenstein: Die Polarisation des
Lichts birgt Informationen, die es uns erlauben, die Physik hinter dem Bild,
das wir im April 2019 gesehen haben, besser zu verstehen. Das war vorher nicht
möglich“, erklärt Iván Martí-Vidal, ebenfalls Koordinator der
EHT-Polarimetrie-Arbeitsgruppe und GenT Distinguished Researcher an der
Universität von Valencia, Spanien. Er fügt hinzu, dass „die Erstellung dieses
neuen Polarisationsbildes jahrelange Arbeit erforderte, da die Gewinnung und
Analyse der Daten mit komplexen Techniken verbunden war.“
Licht wird polarisiert, wenn es bestimmte Filter durchläuft, wie
die Gläser von polarisierten Sonnenbrillen, oder wenn es in heißen Regionen des
Weltraums emittiert wird, in denen Magnetfelder vorhanden sind. Genauso wie
polarisierte Sonnenbrillen uns helfen, besser zu sehen, indem sie Reflexionen
und Blendungen von hellen Oberflächen reduzieren, können Astronomen ihren Blick
auf die Region um das schwarze Loch schärfen, indem sie sich ansehen, wie das
von ihm ausgehende Licht polarisiert ist. Insbesondere erlaubt die Polarisation
den Astronomen, die Magnetfeldlinien zu kartieren, die am inneren Rand des
schwarzen Lochs vorhanden sind.
„Die neu veröffentlichten polarisierten Bilder sind der Schlüssel
zum Verständnis, wie das Magnetfeld es dem schwarzen Loch ermöglicht, Materie
zu verschlingen“, sagt EHT-Kollaborationsmitglied Andrew Chael, ein NASA Hubble
Fellow am Princeton Center for Theoretical Science und der Princeton Gravity
Initiative in den USA.
Die hellen Energie- und Materiejets, die aus dem Kern von M87
entspringen und sich mindestens über 5000 Lichtjahre von seinem Zentrum ausbreiten,
sind eines der geheimnisvollsten und energiereichsten Merkmale der Galaxie. Die
meiste Materie, die sich in der Nähe des Randes eines schwarzen Lochs befindet,
fällt hinein. Einige der umgebenden Teilchen entkommen jedoch kurz vor dem
Einfangen und werden in Form von Jets weit ins All hinausgeschleudert.
Um diesen Prozess besser zu verstehen, haben sich Astronomen auf
verschiedene Modelle gestützt, wie sich Materie in der Nähe des schwarzen Lochs
verhält. Aber sie wissen immer noch nicht genau, wie die Jets, die größer als
die Galaxie sind, aus seiner zentralen Region ausgestoßen werden, die von ihrer
Ausdehnung her mit dem Sonnensystem vergleichbar ist, noch wie genau die
Materie in das schwarze Loch fällt. Mit der neuen EHT-Aufnahme des schwarzen Lochs
und seines Schattens in polarisiertem Licht ist es den Astronomen erstmals
gelungen, in die Region dicht außerhalb des schwarzen Lochs zu blicken, in der
dieses Wechselspiel zwischen einströmender und herausgeschleuderter Materie
stattfindet.
Die Beobachtungen liefern neue Informationen über die Struktur der
Magnetfelder direkt außerhalb des schwarzen Lochs. Das Team fand heraus, dass
nur theoretische Modelle mit stark magnetisiertem Gas erklären können, was sie
am Ereignishorizont sehen.
„Die Beobachtungen legen nahe, dass die Magnetfelder am Rand des
schwarzen Lochs stark genug sind, um das heiße Gas zurückzudrängen und es dabei
zu unterstützen, der Schwerkraft zu widerstehen. Nur das Gas, das durch das
Feld schlüpft, kann sich spiralförmig nach innen zum Ereignishorizont bewegen“,
erklärt Jason Dexter, Assistenzprofessor an der University of Colorado Boulder,
USA, und Koordinator der EHT-Theorie-Arbeitsgruppe.
Um das Herz der Galaxie M87 zu beobachten, verbanden die
Forschenden acht Teleskope auf der ganzen Welt, um ein virtuelles
erdumspannendes Teleskop, das EHT, zu schaffen. Die beeindruckende Auflösung,
die mit dem EHT erreicht wird, entspricht der, die benötigt wird, um die Länge
einer Kreditkarte auf der Oberfläche des Mondes zu messen.
Mit der Anordnung des EHT konnte das Team den Schatten des
schwarzen Lochs und den ihn umgebenden Lichtring direkt beobachten, wobei das
neue Bild mit polarisiertem Licht deutlich zeigt, dass der Ring magnetisiert
ist. Die Ergebnisse werden heute in zwei separaten Artikeln in The
Astrophysical Journal Letters von der EHT-Kollaboration veröffentlicht. An der
Forschung waren mehr als 300 Forscher aus verschiedenen Organisationen und
Universitäten weltweit beteiligt.
„Das EHT macht rasante Fortschritte, das Netzwerk wird
technologisch aufgerüstet und neue Observatorien werden hinzugefügt. Wir
erwarten, dass zukünftige EHT-Beobachtungen die Magnetfeldstruktur um das
schwarze Loch genauer abbilden und uns mehr über die Physik des heißen Gases in
dieser Region verraten werden“, schließt EHT-Kollaborationsmitglied Jongho
Park, ein East Asian Core Observatories Association Fellow am Academia Sinica
Institute of Astronomy and Astrophysics in Taipeh.
Publikationen:
The Event Horizon Collaboration, Kazunori
Akiyama et al.: First M87 Event Horizon Telescope Results VII: polarization
of the ring. Astrophysical Journal Letters, 910, L12 (2021) DOI
10.3847/2041-8213/abe71d (ApJL 910, L12)
The Event Horizon Collaboration, Kazunori
Akiyama et al.: First M87 Event Horizon Telescope Results VIII: Magnetic
Field Structure Near The Event Horizon. Astrophysical Journal Letters, 910, L13
(2021) DOI 10.3847/2041-8213/abe4de (ApJL 910, L13)
Bilder und Videos
http://www.uni-frankfurt.de/99324156 (Bild-Download)
Das supermassereiche schwarze Loch in der Galaxie M87 im
polarisierten Licht
Ansicht
der Polarisation des schwarzen Lochs in M87. Die Linien markieren die
Ausrichtung der Polarisation, die mit dem Magnetfeld um den Schatten des
schwarzen Lochs zusammenhängt. Bildnachweis: Event Horizon Telescope
Collaboration
http://www.uni-frankfurt.de/99324167 (Animiertes GIF -
Download)
GIF: Beobachtung und Modellrechnung
Animation,
die das beobachtete schwarze Loch in der Galaxie M87 zeigt (links) und das
theoretische Modell, das am besten zu den Beobachtungen passt: das theoretische
Modell mit stark magnetisiertem Gas. Die Streifen zeigen die Linien des
Magnetfelds. Bildnachweis: S. Issaoun, M. Mościbrodzka with
Polarimetry WG and OWG
http://www.uni-frankfurt.de/99324045 (Video-Download)
Polarisiertes Licht: Licht ist eine schwingende elektromagnetische Welle. Wenn die
Wellen eine bevorzugte Schwingungsebene haben, sind sie polarisiert. Im
Weltraum sendet sich bewegendes heißes Gas, so genanntes Plasma, polarisiertes
Licht aus, wenn es von einem Magnetfeld durchsetzt wird. Die polarisierten
Lichtstrahlen, die der Anziehung des schwarzen Lochs entkommen, wandern zu
einer entfernten Kamera. Die Intensität der Lichtstrahlen und ihre Ausrichtung
beobachtet die EHT-Kollaboration mit dem Event Horizon Telescope. Credit: © EHT Collaboration and Fiks Film
https://www.eso.org/public/germany/videos/eso2105b/ (Youtube)
Zoom in das Herz der Galaxie M87
Das
Video beginnt mit einem Blick auf ALMA, ein Teleskop, an dem die ESO als
Partner beteiligt ist und das Teil des Event Horizon Telescope ist. Es zoomt
immer weiter in das Herz von M87. Am Ende ist zunächst zunächst das erste Bild
eines schwarzen Lochs zu sehen, das 2019 aufgenommen wurde. Dann folgt das neue
Bild, das das supermassereiche Objekts in polarisiertem Licht zeigt. Es ist das
erste Mal, dass Astronomen die Polarisation, eine Signatur von Magnetfeldern,
so nah am Rande eines schwarzen Lochs messen konnten. Herkunftsnachweis: ESO/L.
Calçada, Digitized Sky Survey 2, ESA/Hubble, RadioAstron, De Gasperin et al.,
Kim et al., EHT Collaboration. Music: Niklas Falcke
https://www.youtube.com/watch?v=6xrJoPjfJGQ&t=14s (Youtube)
Schwarze Löcher sind von Plasma umhüllt. Dieses Plasma ist von
magnetischen Felder durchsetzt, hier beeinflusst Magnetismus, wie Materie sich
bewegt. Wenn das Magnetfeld stärker wird, andert es seine Form und das
polarisierte Licht, das die EHT-Kollaboration misst, zeigt unterschiedliche
Muster. Credit: © EHT Collaboration and
Crazybridge Studios
http://www.uni-frankfurt.de/99324248 (Bilder - Download)
Ansicht des supermassereichen schwarzen Lochs in der Galaxie M87
und des Jets in polarisiertem Licht
Dieses
zusammengesetzte Bild zeigt drei Ansichten der zentralen Region der Galaxie
Messier 87 (M87) im polarisierten Licht. Die Galaxie hat ein supermassereiches
schwarzes Loch in ihrem Zentrum und ist berühmt für ihre Jets, die weit über
die Galaxie hinausreichen.
Eines
der Bilder mit polarisiertem Licht, das mit dem Atacama Large
Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile aufgenommen wurde, an dem die
ESO beteiligt ist, zeigt einen Teil des Jets in polarisiertem Licht. Dieses
Bild fängt den Teil des 6.000 Lichtjahre langen Jets ein, der sich näher am
Zentrum der Galaxie befindet.
Die
anderen Bilder mit polarisiertem Licht zoomen näher an das supermassereiche
schwarze Loch heran: Die mittlere Ansicht deckt einen Bereich von etwa einem
Lichtjahr Größe ab und wurde mit dem Very Long Baseline Array (VLBA) des
National Radio Astronomy Observatory in den USA aufgenommen.
Die
am stärksten vergrößerte Ansicht wurde durch die Verknüpfung von acht
Teleskopen auf der ganzen Welt zu einem virtuellen Teleskop in Erdgröße, dem
Event Horizon Telescope (EHT), gewonnen. Dies erlaubt den Astronomen, sehr
dicht an das supermassereiche schwarze Loch heranzukommen, in die Region, in
der die Jets gestartet werden.
Die
Linien markieren die Orientierung der Polarisation, die mit dem Magnetfeld in
den abgebildeten Regionen zusammenhängt. Die ALMA-Daten liefern eine
Darstellung der Magnetfeldstruktur entlang des Jets. Die kombinierten Daten von
EHT und ALMA ermöglichen den Astronomen daher, die Rolle der Magnetfelder von der
Umgebung des Ereignishorizonts (wie mit dem EHT auf Distanzen von Lichttagen
untersucht) bis weit über die Galaxie M87 hinaus entlang ihrer starken Jets
(wie mit ALMA auf Skalen von Tausenden von Lichtjahren untersucht) zu
erforschen.
Die
Werte in GHz beziehen sich auf die Lichtfrequenzen, bei denen die verschiedenen
Beobachtungen gemacht wurden. Die horizontalen Linien zeigen den Maßstab der
einzelnen Bilder in Lichtjahren.
Bild:
EHT Collaboration; ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Goddi et al.; VLBA (NRAO), Kravchenko
et al.; J. C. Algaba, I. Martí-Vidal
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Luciano Rezzolla
Lehrstuhl für Theoretische Astrophysik
Institut für Theoretische Physik
Goethe
Universität Frankfurt
Tel.
+49 69 798-47871 / 47879
rezzolla@itp.uni-frankfurt.de
https://astro.uni-frankfurt.de/rezzolla/
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für
Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, E-Mail bernards@em.uni-frankfurt.de